Blog #3: Daniel Richter: Bilder von früh bis heute

Jetzt ist es da, das große Buch! Und Deutschlandfunk Kultur urteilt euphorisch: „detailversessen“, „nah am Künstler“, und als höchste Wertschätzung: „intellektuell unabhängig“. Vier Jahre hat es gedauert, bis das Buch fertig war. Das Telefonat, mit dem alles begann, ist mittlerweile legendär. Denn die Story dazu hat ihren Auftritt sogar im Künstlerfilm von Pepe Danquart: wie Daniel Richter mich an einem grauen Februartag aus heiterem Himmel anrief und fragte, ob ich ein Buch über ihn machen wolle. So lapidar können erfolgreiche Geschichten anfangen. Aus einer Anekdote entwickelt sich ein bunter Bilderreigen an Ereignissen, durch den zurück man auf die Entstehung des Buches schauen kann.

Die Buchvorstellung in der Villa Grisebach in Berlin am 13. September 2023 ist noch frisch in Erinnerung: Nach ein paar Rangeleien der Gäste um reservierte Stühle haben die meisten einen Sitzplatz gefunden, ein paar Leute stehen, alle sind fröhlich. Rundherum hat der Künstler 41 meist kleine Bilder gehängt, von denen viele noch nie ausgestellt waren. Vorn auf dem Tisch das dicke neue Buch. Dahinter wir drei, die es präsentieren: Daniel Richter in der Mitte, zu seiner Rechten Johanna Adorján, die das Mikrofon fest in der Hand hält und mit großer Nonchalance, geistreich und humorvoll das Gespräch über das neue Buch leitet. Wie und warum es entstanden ist. Wie denn die Zusammenarbeit gewesen sei. Was für sie das Großartige an Struktur und Gestaltung des Buches ist. Plötzlich sind Daniel und ich schon wieder bei der Arbeit und betrachten die Bilder an den Wänden. Was siehst du in diesem seltsamen Bild? Warum ist es grün und blau? Ist es geglückt? Warum so ein fotorealistisches Frauenporträt? Ist das Pop? Wer von uns arbeitet oder schreibt eigentlich bei welcher Musik? Daniel: bei Hip-Hop und diesem und jenem. Du, Eva, bestimmt bei Bach, oder nein, bestimmt Monteverdi. Eva: nein, meist ganz ohne, allenfalls Bach. Ja, darauf könne man sich einigen. Beide fühlen sich verstanden. Und das Publikum lacht.

So ziemlich das Letzte und vielleicht auch das Langwierigste bei der ganzen Produktion eines Buches ist der Klappentext. Auf wie viele Zeichen lässt sich eine Beschreibung des Inhalts reduzieren? Es sagt sich so einfach: „In fünf fundierten Kapiteln erzählt Eva Meyer-Hermann von der Genese und Wirkung der Arbeiten“ und „das Buch bietet erstmals einen umfassenden Einblick“. Längst sind an die Tausend Korrekturseiten in Deutsch und Englisch akribisch und mehrfach durchgearbeitet; es ist Stunde um Stunde vergangen mit der Überprüfung von Fakten zu großen und kleinen Themen, von Kommata und Anführungszeichen bis hin zu schwer umschiffbaren Übersetzungsklippen. Und doch bleiben Fehler, die dann unweigerlich in jenem Moment auffallen, in dem andere das druckfrische Buch aufschlagen. Oh, wie peinlich. „When too perfect lieber Gott böse“, hat Nam June Paik einmal gesagt.

Es gibt kaum eine Person, bei der mein Hang zur Detailversessenheit und meine Liebe zur möglichst genauen Dokumentation so gut ankommen wie bei der Grafikerin des Buches, Yvonne Quirmbach, mit der ich seit mehr als 25 Jahren immer wieder an großen Projekten arbeite. Schon während ich über Ideen für eine Struktur, über die Zielsetzung für die Publikation und deren spezifische Fragestellungen nachdenke, ist Yvonne mit ihren Vorstellungen eingebunden, sodass sich eine Gestaltung entwickeln kann, die zugleich ein Abbild meiner Arbeit und der Diskussionen mit dem Künstler darstellt. Ein kunsthistorisches Buch ist mehr als eine Ansammlung von Seiten mit Text und reproduzierten Kunstwerken, es sollte immer auch eine Quellensammlung und ein Nachschlagewerk sein. Das Wesen des Buches über Daniel Richter liegt nicht allein in der langen Erzählung, sondern auch in der präzisen Forschung zu den vergangenen Ausstellungen, den dort gezeigten Bildern, in einer sinnvollen Auswahl der bislang erschienenen Literatur wie auch einem visuellen Umfeld zahlreicher Referenzabbildungen. Die bestechende Idee, das chronologische Faktenmaterial jedem Kapitel folgen zu lassen und es dabei wie Rohstoff, den man aus dunklen Ecken hervorgezogen hat, einzubetten in Reservoire von tiefstem Schwarz, gehörte zu den großartigen gestalterischen Einfällen für das Buchs. Die zusätzliche Entscheidung, die Grafik ganz aus dem Schwarz-Weiß heraus zu entwickeln, ist zudem eine kluge Antwort auf das farbenreiche und Konkurrenz nur ungern zulassende Universum der Bilder von Daniel Richter.

Wie stellt sich mir als Forscherin und Autorin ein solcher Kosmos dar, wo beginnen, wie auswählen, woher die Informationen nehmen? Klar, über die Jahre hinweg immer wieder Ausstellungen mit Originalen ansehen. Dann Atelierbesuche und Gespräche im Terpentinrausch vor angefangenen und fertigen Bildern. Der Begleithund ist von den Ausdünstungen der frischen Ölfarbe derart benebelt, dass er um kein Leckerli der Welt auch nur ein einziges Mal noch den Aufzug hoch zur Mal-Etage betreten möchte. Zum Glück sind alle Bilder im Laufe der Jahre gut dokumentiert worden. Zwei große Stapel mit ausgedruckten Fotos aller großen Ölgemälde liegen auf dem Tisch. Wir sortieren für das Buch vor, „rein“ – „raus“ – „noch unklar“. Der Künstler kommt ins Erzählen, gibt Anekdoten zur Entstehung preis, persönliche Einschätzungen, was gut, gelungen, schlecht oder seiner Meinung nach eine Fehlentwicklung gewesen sei. Es ist alles so interessant, deshalb läuft von Anfang an bei all unseren Gesprächen im Atelier das Band mit. Stundenlang. Transkribieren, Sichten und Systematisieren der Audioaufzeichnungen benötigen noch mehr Geduld als die Auswertung der Literatur. Manchmal fühle ich mich wie eine Marathonläuferin, oder besser: eine Tänzerin, die aus dem Ballettsaal mit den monoton sich wiederholenden Exercicen nicht herauskommt. Wo ist die Bühne? Wo das Buch? – Und dann, scheinbar plötzlich, wenn alles durchgearbeitet ist, ist es da, das Buch! Und das fühlt sich an wie ein großer Sprung auf die Bühne. Der gelingt nämlich auch nicht ohne vorheriges Training.

Der Reigen, oder ist es eine Spirale, mit Momenten der Erinnerung aus den letzten vier Jahren beginnt sich zu schließen. Hier und da tauchen wie im Film Szenen der Zusammenarbeit, Dialoge auf. Sie sprechen von meiner Arbeit als Curator for Artists. Eine intensive, jahrelange Arbeit mit vielen Gesprächen liegt hinter uns. Phasen der Annäherung, sogar der Aneignung, und dann auch wieder Augenblicke der Grenzziehung und Entfernung. Es geht ja darum, die Ergebnisse der Zusammenarbeit auf eine andere Ebene zu bringen, nämlich die der Öffentlichkeit. Dafür reicht es nicht aus, Originalton wiederzugeben. Informationen müssen neu sortiert werden und in eine eigene Sprache einfließen – die ihrerseits aufbereitet ist, sodass sie eine Energie ausstrahlen kann, die auf das Publikum überspringt: beim Lesen und beim Schauen.

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Book presentation at Villa Grisebach, Berlin, September 13, 2023. Diandra Donecker, director and partner of Grisebach and the panelists: Johanna Adorjàn, Daniel Richter, Eva Meyer-Hermann. Photo: Stefanie Loos
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Johanna Adorján, Daniel Richter, Eva Meyer-Hermann. Photo: Stefanie Loos
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The audience at the book presentation at Villa Grisebach, Berlin, September 13, 2023.  Photo: Stefanie Loos
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Johanna Adorján and Daniel Richter. Photo: Stefanie Loos
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Eva Meyer-Hermann presenting the book. Photo: Stefanie Loos
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The audience at the book presentation at Villa Grisebach, Berlin, September 13, 2023.  Photo: Stefanie Loos
The audience at the book presentation at Villa Grisebach, Berlin, September 13, 2023. Photo: Stefanie Loos